Wie ich einen Espresso einstelle

Es gibt einige Parameter, an denen man drehen kann. Wenn ich eine gewisse Reihenfolge einhalte, ist es gar nicht so schwierig.

Bohne & Getränk

Die Ausgangssituation ist, dass ich eine neue Bohne habe oder für eine vorhandene Bohne eine Einstellung für ein anderes Getränk – insbesondere mit einem anderen Brew Ratio – vornehmen möchte.

Meist wird es um einen mehr oder weniger typischen Espresso – ob nun schwarz oder als Basis für ein Milchgetränk – gehen. Ein Lungo, ein Café Crème oder ein Allongé erfordern aber durch ihre vom Espresso deutlich abweichenden Brühverhältnisse andere Einstellungen.

Dosis & Sieb

Klassisch (italienisch) würde man nun fragen, ob man einen Single Shot oder einen Double Shot zubereiten möchte. Die alte Lehre nennt hier 7 g bzw. 14 g. In der italienische Caffè-Kultur genießt man lieber „klein, stark, schwarz“ relativ schnell und mehrmals über den Tag verteilt, ohne sich zu in einen Koffeinrausch zu versetzen. Moderner interpretiert wird aber stets empfohlen, möglichst Double Shots zu beziehen und dies bei interessanteren, nicht sehr dunklen Röstungen in einer höheren Dosis von ca. 18-20 g. Die Decent-Maschine kommt im Normalfall mit einem „geraden“ 18g-Sieb und das scheint auch ein guter Allrounder zu sein.

Größere Siebe, die einen höheren Puck bedeuten, haben den Vorteil, dass der Puck im Laufe der Extraktion bessere Chancen hat, seine Integrität zu bewahren und weniger Channeling bzw. ungleichmäßige Extraktion zu begünstigen. Das ist insbesondere bei helleren Röstungen von Bedeutung.

Nun ist die Frage, welches Sieb kann ich nutzen? Habe ich beispielsweise überhaupt ein Sieb für Single Shots? (Ich habe bisher keines.) Siebformen können auch Einfluss auf die Extraktion und das Ergebnis in der Tasse haben. „Waisted Baskets“, also Sieben, die sich nach unten etwas verschlanken, wird beispielsweise ein etwas satterer Körper zugesprochen – gut für italienischen Espresso. Ich selbst kann diese Unterschiede aber noch nicht beurteilen.

Habe ich das Sieb gewählt, habe ich hiermit vermutlich schon etwas Erfahrung mit der bestmöglichen Füllmenge. Passend befüllt ist es, wenn der trockene Puck nur 1-2 mm „Headspace“ zum Duschsieb hat. Trocken ein- und wieder ausgespannt sollte auf keinen Fall ein Abdruck des Duschsiebes zu sehen sein. Nass nach dem Bezug darf der Puck dann gerne auch einen leichten Abdruck des Duschsiebs tragen. Oft ist die aufgedruckte Füllmenge des Siebes ein guter Startwert. So ist es nach meiner Erfahrung auch beim Decent-18g-Sieb. Schwankungen aufgrund des Mahlgrades und der Bohnendichte sind aber durchaus möglich.

Ratio & Ausgabemenge

Für das gewünschte Getränk sollte man ein typischerweise gewünschtes Brühverhältnis (Brew Ratio) anstreben und dieses ggf. erst im Nachgang anpassen. Insbesondere sollte man erst hieraus die anzustrebende Tassenfüllmenge berechnen und nicht etwa die Tassenfüllmenge als Zielvorgabe betrachten. – Ratio vor Ausgabemenge!

Beispiel: Eine neue mitteldunkle Bohne soll für die (modern interpretierte) Espresso-Brühung eingestellt werden. Ich wähle das 18g-Sieb, das ich erfahrungsgemäß auch bei einer derartigen Bohne mit genau 18 g befülle. Da ich zur gewählten Bohne keine andere Erfahrungen habe, wähle ich das Standard-Ratio von 1:2 und möchte somit 36 g Ausgabemenge erzielen.

Extraktionszeit

Als guter Anhaltspunkt für eine anzustrebende Extraktionszeit gelten 25 Sekunden. Wichtig ist: diese Zeit soll sich aus den zuvor festgelegten Parametern und den weiter unten noch erwähnen Anpassungen ergeben. Wir sollten nicht einfach die Extraktion bei 25 Sekunden abbrechen und vernachlässigen, wieviel Kaffee dann „zufällig“ in der Tasse ist.

Tendenziell bedeuten kürzere Zeiten eine stärkere Betonung der unangenehmen Säure, die sich grundsätzlich sehr leicht extrahieren lässt (unangenehm „sour“ statt angenehm „acidic“). Zu lange Extraktionszeiten extrahieren hingegen zunehmend unangenehm bitter erscheinende Stoffe. Dazwischen liegt ein angenehmer Bereich, der durchaus als süß wahrgenommen werden kann.

Kaffee enthält grundsätzlich all das. Es ist beim Dial-In stets das Ziel, hier den Sweet Spot zu finden. Man möchte die Süße und die interessanten fruchtigen oder blumigen Säuren scheinen lassen und dezent auch auch eine angenehme weiche Bittere mitnehmen. Jedoch möchte man eine starke Säure insbesondere bei hellen Röstungen zähmen und der harrschen Bittere insbesondere bei dunkleren Röstungen keinen Raum geben. Es gilt aber auch: Gerade im Heimbereich ist alles erlaubt, was gefällt. Der persönliche Geschmack darf natürlich vom guten Durchschnitts-Espresso abweichen.

Sofern wir keine anderen Erfahrungen mit der vorliegenden Bohne haben, streben wir also ca. 20 bis 30 Sekunden Extraktionszeit an. Dabei zählt übrigens auch die Präinfusion dazu, denn mit der ersten Sekunde beginnt die Durchnässung des Pucks und damit die Extraktion, auch wenn noch keine Tropfen aus dem Sieb in die Tasse rinnen.

Primäres (nicht einziges) Mittel ist nun also, auf die Extraktionszeit zu schauen und den folgenden Parameter passend anzupassen.

Mahlgrad

Der Mahlgrad, bei dem wir starten, beruht im Laufe der Zeit einfach auf einer gewissen Erfahrung. Ganz am Anfang braucht’s eben ein paar Versuche mehr. Das ist kein Drama. Auf meiner DF64-II ist eine Einstellung von 19 für eine „mittlere Espressoröstung“ ein guter Startwert.

Nun wird also ein erster Double Shot zubereitet. Man sollte nicht denken, dass Double Shots beim Dial-In zu verschwenderisch sind und deshalb womöglich kleinere Mengen brühen. Ziel sind im Allgemeinen Double Shots, also werden diese auch eingestellt.

Haben wir alles richtig vorbereitet? War die Mühle zuvor genügend frei von altem Mahlgut oder Mahlgut mit anderer Einstellung? Bei meiner Single Dose Mühle mit sehr wenig Totraum habe ich den Eindruck, dass ich diesen Aspekt weitgehend vernachlässigen kann. Ist mein Puck Prep okay und so, wie ich es mir regelmäßig im Alltag zutraue? Habe ich an der Maschine das für mich typische Profil für Espresso-Bezüge ausgewählt? Ist der Brühkopf und das Sieb im Siebträger auf die richtige bzw. typische Temperatur für diese Art von Brühungen vorgewärmt? Ist bei eine verbundenen Bluetooth-Waage die Zielmenge richtig richtig eingestellt? – Dann: Siebträger einspannen und ohne Verzögerung GO!

Wie läuft der Bezug?

Zu langsam? Die Tasse ist nach über 30 Sekunden noch deutlich von der angestrebten Füllmenge entfernt? Dann sollte die Mühle gröber für den nächsten Versuch gestellt werden. Bei über 40 Sekunden darf natürlich gerne abgebrochen werden. Trotzdem ruhig mal probieren! So schmeckt eine Überextraktion. Der Kaffee wurde so fein gemahlen, dass dem durchströmenden Wasser sehr viel Angriffsfläche geboten wurde, was hier zu viel der harrschen, holzigen, bitteren Stoffe auslöst und dies das Aroma der Süße und der angenehmen Säure (die durchaus auch extrahiert wurden) massiv überlagert.

Zu schnell? Die Tasse ist nach weniger als 20 Sekunden so voll wie gewünscht? Egal, ob die Extraktion hier manuell oder automatisch beendet wird oder noch länger weiter läuft und zu einer deutlich zu vollen Tasse führt: es handelt sich um eine Unterextraktion. Wir haben vermutlich nur die leicht früh extrahierbaren Säuren aus dem Kaffee geholt. Alles, was Süße und ein volleres Mundgefühl geben könnte, fehlt hier leider. Auch wenn wir die Bezugszeit verlängern, bekommen wir die gewünschte Balance so nicht hin. Der Kaffee ist einfach zu dünn und vermutlich sauer. Die Mühle sollte feiner eingestellt werden.

Deutlich zu schnell oder deutlich zu langsam? Dann sollte mit einer entsprechend, aber nicht zu stark, veränderten Mühleneinstellung der nächste Versuch unternommen werden. Mehr als eine Parameterveränderungen sollte man sich gerade als Anfänger wohl lieber verkneifen, da man sonst Gefahr läuft, Zusammenhänge doch nicht ganz korrekt zu verstehen.

Wenn wir schließlich in einem Zeitfenster von ca. 20-30 Sekunden landen, haben wir hoffentlich einen Kaffee in der Tasse, der uns halbwegs gefällt bzw. den allgemeinen Ansprüchen an einen Espresso entspricht. Jetzt können wir ggf. noch über andere Stellschrauben nachdenken oder die oben gesetzten Parameter noch einmal überdenken.

Schwankungen?

Scheinen die Bezugszeiten bei eigentlich gleichbleibenden Parametern zu stark zu schwanken? Dann sollte ich vielleicht etwas mehr Augenmerk auf eine gleichmäßige, sorgfältige Vorbereitung des Puck legen:

  • Mühle regelmäßig reinigen, insbesondere den Ausgang
  • Mühleneinstellung bei stufenloser Mühle besonders akribisch vornehmen
  • wirklich exakt die Bohnen auf +/- 0,1g abwiegen
  • Single Dose Mühle vollständig in die verwendete Kaffeemehldosis ausblasen
  • Befüllung des Siebträgers nach einem eingespielten gleichbleibenden Ablauf, ob nun direkt aus der Mühle in den Siebträger, über eine Dose oder einen Blind Shaker, nichts darf daneben gehen, passende magnetische Funnel sind super
  • gründliche Auflösung von Klümpchen und Verteilung im Sieb per WDT-Tool (nicht bei Blind Shaker)
  • keinerlei Druck von oben auf das Kaffeemehl ausüben, außer einmal beim Tampen
  • stets in gleicher Weise tampen, Leveling Tamper sind ein Segen
  • ggf. vor Einsetzen des Siebträgers in die Maschine das Gewicht noch einmal kontrollieren

Andere Parameter

Eine höhere Temperatur während der Brühung kann die potentielle Extraktion verstärken, was sich positiv auf Süße und Körper auswirken könnte. Ich habe selbst mit dieser Veränderung beim Dial-In aber noch keine Erfahrung gesammelt.

Vielleicht möchte man doch durch eine nur leichte Änderung der Dosierung oder des Brühverhältnis die „Stärke“ verändern oder probieren, ob so eine interessante Aromakomponente mehr zur Geltung kommt.

Durch einen Puck Screen über dem Puck oder Filterpapier unter dem Puck kann die Verteilung des Wasser- und Kaffeestroms ggf. verbessert werden, was der Gleichmäßigkeit und „Qualität“ der Extraktion zu Gute kommen kann.

Gerade an einer so flexiblen Maschine wie der Decent DE1 hat man ein Vielzahl von Möglichkeiten.

  • Präinfusionsparameter (Temperatur, Flow, Zeit oder anderes Ende-Kriterium)
  • Flow- oder Druckzielwert zu Beginn der Extraktion
  • Begrenzen bzw. langsames Rückfahren des Drucks bzw. der Druckobergrenze im Verlauf Extraktion, um der Abnahme der Puck-Integrität gerecht zu werden und Channeling zu reduzieren
  • Temperaturunterschiede zwischen Präinfusion und Hauptextraktion
  • exakt reproduzierbar gepulste Extraktion (bei Pour Over Profilen)

Messungen

Wenn man’s wissenschaftlich angeht, kann man TDS-Messungen vornehmen, um auch Extraktionen zu quantifizieren. Das ist aber sicherlich etwas übertrieben.

Zusammenfassung

Die Erwartung an die Bohne bestimmt das Getränk. Das Getränk bestimmt Maschinenprofil, Dosis und Brew Ratio. Das entsprechend gewählte Sieb gibt noch einmal die exakte Dosis vor und es errechnet sich die Ausgabemenge. Die Extraktionszeit hat einen fixen Zielwert von meist 25 +/- 5 Sekunden, der ausschließlich durch Änderung des Mahlgrades angestrebt wird. Erst in der Zielzone angekommen wird ggf. Feinschliff an anderen Parametern vorgenommen.

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